Der Fall Daniel Abt, oder: Audi und die gute, alte Doppelmoral

Grüße, Freunde des Rennsports!

Die heutige Bekanntgabe von Audi, Daniel Abt mit sofortiger Wirkung zu suspendieren, ist für mich mal wieder ein Anlass, ein paar persönliche Zeilen auf das virtuelle Papier zu bringen. Immerhin war der Stein des Anstoßes ja auch virtueller Natur...

Was ist passiert?

Aber fangen wir mal ganz am Anfang an. Die Formel E hat aufgrund der Unterbrechung ihrer Meisterschaftssaison die "Race at Home Challenge" ins Leben gerufen. Hier fahren alle 24 Fahrer der Meisterschaft in einer Saison, bestehend aus acht Rennen, um Punkte. Ausgetragen wird dies, wie der Name schon sagt, von Zuhause aus. Jeder Pilot hat dazu einen Simulator von der Formel E zur Verfügung gestellt bekommen, die Rennen werden in rFactor 2 ausgetragen. Sie dienen nicht nur der Unterhaltung der Fans, sondern auch einem guten Zweck: Es werden Spenden für den weltweiten Coronavirus-Fonds der UNICEF gesammelt.

Obwohl sie grundsätzlich ein Rennauto schnell bewegen können, ist das für die Fahrer, sofern sie nicht privat bereits Erfahrung im Simracing gesammelt haben, eine neue Erfahrung. Und so werden die Rennen, obwohl natürlich alle die gleichen Voraussetzungen haben, meistens von den gleichen Fahrern dominiert. Daniel Abt gehört nicht dazu. Im Gegenteil, der Kemptener gehörte in den ersten Rennen immer zu den Piloten, die sich in der hinteren Hälfte des Feldes aufgehalten haben.

Und so kam Abt während eines Livestreams bei Twitch gemeinsam mit einem Simracer auf die Idee, dass dieser für ihn das nächste Rennen fahren und sich so mit den Profis messen könne.

Beim fünften Rennen, ausgetragen auf der virtuellen Strecke in Berlin-Tempelhof, war Abt dann auf einmal im Qualifying ganz vorne mit dabei, im Rennen wurde er Dritter. Auffällig war jedoch, dass Abt dieses Mal nicht gleichzeitig streamte (wie bei den Rennen zuvor) und sein Gesicht im offiziellen Livestream der Formel E durch einen Mikrofonständer verdeckt wurde. Bereits während des Rennens sagte Stoffel Vandoorne, dass da nicht Daniel Abt am Steuer sitzen könne.

Und er war es natürlich auch nicht. Schnell fiel auf, dass da ein Simracer hinter dem Steuer saß. Die Folge: Abt wurde disqualifiziert, seine Punkte aberkannt und er verpflichtete sich dazu, eine Spende von 10.000 Euro an eine Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl zu leisten. Verständlich, die Punkte stehen ihm auch nicht zu. Immerhin ist er ja gar nicht selbst gefahren. Die Spende leistete er kurz darauf bei einer Einrichtung für behinderte Menschen in seiner Nähe.

Heute dann der Hammer: Audi suspendierte Daniel Abt mit sofortiger Wirkung! Dies dürfte gleichbedeutend mit seinem Rauswurf sein, wie Abt später in einem Videostatement dann auch zugab. Besonders interessant finde ich persönlich jedoch den Wortlaut, mit dem seitens Audi die Entscheidung begründet wird:

"Integrity, transparency and consistent compliance with applicable rules are top priorities for Audi – this applies to all activities the brand is involved in without exception."

"Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln haben für Audi oberste Priorität - dies gilt ausnahmslos für alle Aktivitäten, an denen die Marke beteiligt ist."

Wie ordne ich das ein?

Zunächst einmal ist es verständlich, dass man als Hersteller auf augenscheinlich unsportliches Verhalten reagieren muss, keine Frage. Dieses Statement kann in meinen Augen aber nur ein ganz schlechter Witz sein. Denn wie sagt man so schön: Wer im Glashaus sitzt...

Audi ist eine Marke des Volkswagen-Konzerns. Das ist genau der Konzern, der über Jahre hinweg mit illegalen Abschalteinrichtungen weltweit Zulassungsbehörden und Verbraucher vorsätzlich getäuscht hat. Die Software dieser Motoren sorgte auf Prüfständen dafür, dass deutlich bessere Abgaswerte erreicht wurden, als dies im "normalen" Betrieb der Fall war. Auch ein von Audi federführend entwickelter 3,0-Liter-V6-Dieselmotor (VW EA897) war mit diesen Abschalteinrichtungen ausgerüstet.

"Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln" - nichts davon war zu spüren, als man bei VW und Audi über Jahre den wahren Ausmaß des Abgasskandals verschleierte.

Aber vielleicht gilt das ja nicht für die gesamte Firmenpolitik, sondern nur für den Sport?

Auch da ist nicht nur mir ein Vorfall in Erinnerung geblieben, der die jetzige Aussage noch viel lächerlicher erscheinen lässt: Das DTM-Rennen am 2. August 2015 in Spielberg. Audi-Hoffnungsträger Mattias Ekström lag in Führung, während der Meisterschaftsführende, Mercedes-Pilot Pascal Wehrlein, nur im Mittelfeld lag. Vor Wehrlein fuhren Audi-Pilot Timo Scheider und Wehrleins Markenkollege Robert Wickens.

Wickens fuhr rundenlang deutlich langsamer und hielt Scheider auf, sodass Wehrlein aufschließen und kurz vor dem Ziel beide überholen konnte. Mit dem sechsten Platz, den er nun belegte, hätte Wehrlein die Führung in der Meisterschaft behalten.

Die ARD-Zuschauer hörten dann live im Fernsehen einen Funkspruch, den der damalige Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich absetzte: "Timo, schieb ihn raus." Obwohl sich Ullrich später zunächst nicht mehr daran erinnern konnte, den Funkspruch abgesendet zu haben. "Ich kann es nicht gewesen sein", sagte er noch in der Pressekonferenz nach dem Rennen. Scheider leugnete, überhaupt einen Funkspruch gehört zu haben. Aber wie es der Zufall so wollte, bremste Scheider nur Sekunden nach dem Funkspruch am Ende der Geraden zu spät und schob die beiden Konkurrenten ineinander, die daraufhin von der Strecke kreiselten.

Für den Deutschen Motorsportbund (DMSB) war die Sache eindeutig: Scheider wurde für zwei Rennen gesperrt, Ullrich bis zum Saisonende der Zugang zur Boxengasse und dem Teamfunk verwiesen. Außerdem wurden Audi die Punkte des Rennens aberkannt und 200.000 Euro Geldstrafe gegen Audi Sport und das Phoenix Racing Team verhängt. Aus der Urteilsbegründung: "Da ein solches Verhalten dem Ansehen des Motorsports in der Öffentlichkeit massiv schadet, musste die Strafe entsprechend hart ausfallen."

"Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln" - auch hier scheint man wenig von zu spüren. Besonders interessant finde ich, wie Audi auf diesen Vorfall reagiert hat - nämlich gar nicht. Es gab keinerlei persönliche Konsequenzen. Zumindest keine, die öffentlich kommuniziert wurden - weder für Scheider noch für Ullrich. Es gab lediglich eine Entschuldigung der beiden Beteiligten. Aber das war es auch schon. Sowohl Scheider als auch Ullrich durften selbstverständlich ihre Jobs behalten.

Gerade vor diesen Hintergründen wirkt die Suspendierung oder besser gesagt der Rauswurf von Daniel Abt wie eine absolute Farce. War es aus sportlicher Sicht in Ordnung, was Abt gemacht hat? Sicher nicht. Gehört er dafür bestraft? Durchaus, das hat die Formel E aber auch gemacht.

Aber das war es auch schon. Es war nur ein Spaß-Event und Abt hat sich seiner Aussage nach keinerlei Mühe gemacht, den ihm vorgeworfenen "Betrug" in irgendeiner Form zu verheimlichen oder zu verschleiern. Zudem war der Vorfall meilenweit von jenem unsportlichen Verhalten entfernt, für das die auf einmal ach so integre Marke mit den vier Ringen vor ein paar Jahren keinerlei Konsequenzen hat folgen lassen.

Ganz ehrlich: Audi, Ihr solltet Euch schämen.

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